Der furchtlose Paul - ein modernes Märchen für Erwachsene - Teil I "Die Trilogie nimmt ihren Lauf"

Autor:
De Kaloin

Trilogie Teil 1, Kapitel 1, Geschichte 1 ... to be continued

Der furchtlose Paul

Schon als er noch sehr klein war bemerkte Paul, dass er eine besondere Gabe hatte. In bestimmten Situationen seines Lebens konnte er nämlich so eine Art "Furchtlos-Zauber" in sich spüren, der ihn sehr stark und mutig machte. Eines Tages, als er an einem Bach spazieren ging, sah er plötzlich einen kleinen Igel, der zu ertrinken drohte. Paul konnte unmöglich zusehen, wie der Ärmste immer tiefer ins Wasser rutschte. "Ach, könnte ich dem armen Kerl doch nur helfen", dachte er. Plötzlich entschloss sich der furchtlose Paul ins Wasser zu springen und den Igel zu retten. Völlig durchnässt, aber sehr glücklich, klettere Paul wieder aus dem Bach, den kleinen Igel sicher in seinen Armen. "Ich bin furchtlos und stark", sagte sich Paul immer wieder. "Das muss so eine Art Zauber sein, die mich derart furchtlos macht", war er sich ganz sicher. Daheim erzählte er sofort seiner Mutter, was zuvor geschehen war. Sie war sehr stolz auf Paul und ermunterte ihn, immer allen zu helfen, vor allem den Tieren und jenen Menschen, die sich selbst nicht wehren können. "So soll es sein", sagte Paul und ging wieder zum Spielen nach draußen.

Es war an einem Dienstag, als Paul von der Schule nach Hause ging. Mittlerweile war er schon 13 Jahre alt und einer der besten in seiner Klasse. Einmal hatte eine Lehrerin ihn sogar vor der ganzen Klasse gelobt, weil er einem Mitschüler bei den Hausaufgaben geholfen hatte. Paul war sehr mit sich zufrieden. Aber zurück zur Geschichte: Er war also auf dem Heimweg, als er sah, wie zwei Jugendlich aus seiner Klasse ein komisches weißes Pulver in ihre Nasen zogen. "Was mochte das wohl sein?", dachte sich Paul. Er ging auf die beiden zu und bemerkte, dass die Jungs ganz plötzlich komisch wurden. Er fragte einen der beiden, was sie denn da eben gemacht hätten. "Wir ziehen uns Koks rein", sagte Horst, einer der beiden Schulkameraden. "Koks? Was ist das denn?", wollte der furchtlose Paul wissen. "Das ist eine auf Amphetaminen basierende Droge, die das Bewusstsein stark verändert und dem User das Gefühl vermittelt, er sei unschlagbar", sagte Dieter, der andere Schulkamerad. "Amphetamine? Klingt gut!", meinte Paul. Also wollte er auch unbedingt probieren. Und tatsächlich gaben ihm seine Kameraden ein kleines Näschen voll ab. Gierig saugte Paul das Pulver in seine Nasenflügel und schon kurze Zeit später merkte er wieder den "Furchtlos-Zauber" in sich aufsteigen. Noch nie zuvor hatte er sich so stark und unbesiegbar gefühlt. Paul war Gott, und Gott war allmächtig, also war auch Paul allmächtig. Als die Wirkung nach etwa einer Stunde wieder nachließ, sagte sich Paul: "Das muss ich unbedingt wieder mal machen".

Wie es weiter geht, erfahrt ihr im zweiten Teil der großen Märchen-Trilogie. Dann nämlich entdeckt Paul tolle Waffen, Frauen, die am Straßenrand stehen und ganz doll nett sind, und coole Autos, die man ohne Zündschlüssel starten kann. Ihr erfahrt dann auch die Geschichte, als Paul auf der Polizeiwache aufwacht und urplötzlich wieder seine Superkräfte spürt. Mehr dazu in Kürze.

Trilogie Teil 1, Kapitel 1, Geschichte 2 ... to be continued

Die Gespräche mit seiner Mutter waren eine Bereicherung für Paul. Immer wieder sagte sie ihm, er solle die Schwachen beschützen, den Armen helfen (wenn möglich auch mit Geld). Umso härter war für ihn der Tag, als er von der Schule nach Hause kam. Der furchtlose Paul war gerade 14 Jahre alt. Wegen der "Kokain-Sache" waren seine schulischen Leistungen zuweilen etwas schlechter, denn nach dem Genuss des Amphetamins fühlte er sich oft zu schwach, um für die Schule zu arbeiten. Das war nicht immer so, nur manchmal. Wenn er aber nur genug davon nahm, fühlte er sich sofort wieder stark und unbesiegbar. So war der Paul eben. Fröhlich, fast überschwänglich, bestellte er bei Dieter und Horst immer größere Mengen. Und immer, wenn er es einnahm, war der "Furchtlos-Zauber" mit fast unbändiger Kraft in ihm am Werke. Paul tat so viel Gutes in dieser Zeit. So auch das eine Mal, als er vom Fußball kam. Da erzählte seine Mutter, dass es der alten, aber netten Nachbarin Frau Hasenmaile finanziell ganz schlecht ginge. Die liebenswerte alte Frau war allein stehend, weil ihr Mann schon vor Jahren an Alkoholismus gestorben war. Die schmale Rente reichte der Guten nur für das Nötigste, und ständig war sie knapp bei Kasse. Paul war zutiefst empört! Wie konnte so ein Unrecht in seiner unmittelbaren Nachbarschaft passieren? Das konnte er unmöglich akzeptieren. Also machte er sich Gedanken, so wie er sich fortlaufend Gedanken machte, wenn er ein Problem hatte. Nach einer Nase Kokain konnte er zunehmend besser denken. Wie war der Alten zu helfen, die so schlimme Geldsorgen hatte? Er wusste es zunächst nicht. War sein "Furchtlos-Zauber" plötzlich nicht mehr in der Lage ihm zu helfen? Nein, das konnte nicht sein. Also ging er erst mal zu Dieter und Horst.

Als er die beiden traf, merkten sie natürlich sofort, dass mit Paul etwas nicht stimmen konnte. Sie fragten ihn: "He, Paul, alles OK?" "Klar", sagte Paul, "mir tut nur meine Nachbarin so leid, sie ist alt, hat kein Geld, und dabei ist sie doch so nett." "Kein Problem", sagten Dieter und Horst. "Das ist echt kein Thema, wir zeigen dir, wie das geht. Es gibt nämlich die Möglichkeit, Kokain gewinnbringend zu verkaufen. Und das geht so: Du nimmst uns 10 Gramm für 750 Euro ab und verkaufst es in Stuttgart für 90 Euro pro Gramm weiter. Dein Gewinn beträgt also 15 Euro pro Gramm, das macht in diesem Fall 150 Euro Reingewinn."

Paul wäre ein schlechter Rechner gewesen, wenn ihm dieses Beispiel nicht eingeleuchtet hätte. Schon am nächsten Tag stand er am Bahnhof und verkaufte die Ware in bestem Wissen und Gewissen. Gegen 18 Uhr hatte er tatsächlich 150 Euro - er freut sich so sehr, dass er nun endlich der Nachbarin, Frau Hasenmaile, helfen konnte. Entspannt, und mit der Kraft der Unbesiegbarkeit, fuhr Paul mit seinem Bonanza-Fahrrad wieder nach Hause. Die Welt war doch viel besser, als er zunächst geglaubt hatte. So viel Geld! Da war doch sicher noch ein Betthupferl drin. Und schon kurz nachdem er Dieter und Horst angerufen hatte, bekam er das Betthupferl auch prompt geliefert.

Der Abend war also gerettet: Von den 150 Euro waren nach Kauf des Eigenbedarfs immer noch satte 90 Piepen übrig. Voller Kraft und mit dem guten Gefühl des "Furchtlos-Zaubers" ging Paul müde zu Bett. Und gleich am nächsten Morgen gab er der alten Frau das Geld, die sich unbändig darüber freute. Paul war wieder einmal sicher, das Richtige getan zu haben. Sein Tag war gut; Paul war erfüllt von Glück und einer schier maßlosen Lust auf noch mehr "Furchtlos-Zauber".

Und bald erfahrt ihr noch viel mehr über Paul – beispielsweise die Geschichte mit der Bahnhofswache, den komisch glattrasierten Jugendlichen, die schon in jungen Jahren an einer seltsamen Haarausfall-Krankheit zu leiden hatten - und dem komischen Mann, der auf dem Klo des Stuttgarter Hauptbahnhofs in eine dreckige Spritze gefallen war.

Trilogie Teil 1, Kapitel 1, Geschichte 3 ... to be continued

The nightmare continues!

Schon bald nachdem Paul der alten Frau Hasenmaile Geld gegeben hatte, kam er selber in akute Geldnot. Er hatte nämlich sein ganzes Taschengeld und auch das Geld seines Ferienjobs für Kokain verballert. Und dabei war der Nebenjob wahrlich kein Zuckerschlecken, musste er doch in einem Schlachthof die Gedärme ermordeter Rinder wegräumen. Dabei hatte seine Mutter ihm doch immer gesagt, er solle die Armen, die Schwachen und auch die Tiere schützen. So zog Paul seine Konsequenzen, indem er den Job im Schlachthof kündigte.

Es war herrlich - die freie Zeit, das schöne Wetter, Paul war ganz in seinem Element. Plötzlich kam er auf die Idee, dass es total cool wäre, den fanatischen Veganern beizutreten. Weil diese ja alle tierischen Produkte ablehnen, lebte auch Paul ganz nach den Gesetzen dieser Vereinigung. Doch schon bald darauf fehlte ihm das gute Essen der lieben Mutter. So trank Paul sein erstes Bier; nicht aus Lust, eher aus tiefem Frust über den selbst auferlegten Verzicht. Zunächst schmeckte es ihm überhaupt nicht, aber als er Dieter und Horst wegen einer kleinen "Belohnung" anrief, machten die ihm sofort klar, dass man mit ausreichend Pulver in der Blutbahn den Geschmack des Biers faktisch kaum noch wahrnehmen würde, da ohnehin das gesamte Luft-Rachen-System mehr oder weniger lahm gelegt sei. Und wie immer hatten die beiden nicht gelogen. Schon nach der ersten Briese bemerkte Paul weder Geschmack noch Alkoholgehalt des Bieres. Im Gegenteil: Je mehr Pulver er inhalierte, und je mehr Bier er dazu trank, desto mehr wirkte der "Furchtlos-Zauber". Zu diesem Zeitpunkt war er gerade 14 Jahre, 7 Monate und 28 Tage alt. An diesem Tag traf er auch das erste Mal Carola außerhalb der Schule. Sie war richtig klasse: 1.65 groß, strohblonde Haare und eine tolle Figur. Zumindest war sie für Paul toll, und das war alles, was für ihn in diesem Moment zählte.

Noch am selben Abend zeigte der "Furchtlos-Zauber" erstmals eine Wirkung, die Paul zuvor nie wahrgenommen hatte. Er wollte unbedingt zu Carola. Er fand sie einfach unwiderstehlich, und spät am Abend hauchte er ihr einen ersten zärtlichen Kuss auf die Wange. Woraufhin sie leider das Weite suchte und die nächsten Tage in der Schule kaum ein Wort für ihn übrig hatte. Doch das schreckte den furchtlosen Paul überhaupt nicht, im Gegenteil, sein Kampfgeist war geweckt. Und mit einer etwas höheren Dosis würde er sicher beim nächsten Mal mehr Erfolg bei Carola haben. Also tat Paul das, was er in so einer Situation schon immer getan hatte: Er rief Dieter und Horst an.

Leider hatten auch die beiden unter der allgemein schlechten Wirtschaftslage zu leiden, so dass Pauls finanzielle Ressourcen nicht mehr ausreichten. Deshalb nahm er erstmals Geld aus dem Portemonnaie der Mutter. "Kein Problem", dachte Paul, "die hat doch eben erst den Gehaltsscheck eingelöst. Das merkt sie nie."

Und so war es auch. Über den "kleinen" Fehlbetrag verlor die Mutter bis zu dem Tag, an dem sie starb, kein Wort.

Und schön nächstes Mal gibt es wieder Neues von Paul. So erfahrt ihr, wie Carola und er kuscheln, wie Paul der räuberischen Erpressung angeklagt wird, wie er sein Kreidler-Mopped frisiert und im Drogenrausch seit vielen Monaten erstmals bei McDonalds Fleisch isst.

Trilogie Teil 1, Kapitel 1, Geschichte 4 ... to be continued

Nicht immer war das Leben fair zu Paul, was ihn immer häufiger dazu animierte, Dieter und Horst anzurufen. Die beiden freuten sich darüber, obwohl sich Dieter langsam auch etwas Sorgen machte. Doch das schreckte ihn nicht weiter, denn der Rubel rollte und eine bequeme Einnahmequelle sicherte ihm die Finanzierung seines BMW-3ers.

In der Schule lief es ganz prima für Paul, dank des Pulvers war er enorm leistungsfähig, Müdigkeit kannte er nicht, er führte ein Leben auf der Überholspur. Das gelegentliche Herzrasen und das plötzliche Aufschrecken zu nächtlicher Stunde ignorierte er, was sollte das schon bedeuten. Er machte weiter, so wie bisher, vielleicht etwas härter, aber im Grund eben so wie immer. Weil das Geld immer knapper wurde, stieg Paul gelegentlich auf günstigere Spaßmacher um. LSD schien ihm eine gute Wahl zu sein. Ohne groß darüber nachzudenken, schob er das Stück Löschpapier rein - Paul probierte seinen ersten Comic-Trip aus.

Eine Stunde lang passierte überhaupt nichts. "Was für eine Scheiße", dachte Paul. Aber plötzlich ging es los. Die Welt war nicht mehr wie vorher. Paul war auf einer grünen Wiese unterwegs, als ihm plötzlich einfiel, dass die Eklipitk wegen eines Übertragungsfehlers in seinen Transpondern nicht mehr funktionierte. Ihm war klar, dass er sich das nur einbildete, aber trotzdem war er aufgeregt deswegen. Wieder war er auf der Wiese unterwegs, als er in der Ferne eine wunderschöne junge Frau sah. "Ist das Carola?", sagte Paul vor sich hin. Voller Freude rannte er auf das Wesen zu. Auf einmal sah er, dass die Gestalt ein totes Kind in ihren Armen hielt. "Puh, das ist hart", bemerkte er, machte sich aber keine weiteren Sorgen darum. Das war schließlich ihr Problem. Nach einer weiteren Weile stellte sich Paul vor, ob Gott allmächtig sei. "Mmh, könnte sein", dachte Paul, wobei da sicher noch einige Fragen offen sind. Eine davon beschäftigte Paul schon lange: "Welchen Sinn macht ein strafender Gott, der Unheil, Krankheiten und Tod zulässt?". Eine weitere Frage war die nach dem tieferen Sinn eines VW-Golfs. Wo lag der denn, wenn jeder einen hat? Eine dritte Frage war, ob sich Metall im Magen verflüssigt. Die Frage blieb nicht unbeantwortet, denn die Darm-OP, die er deswegen hatte, erübrigte alles andere.

Paul wollte zurück in die Realität und steckte sich den Finger in den Hals. Weil er nichts gegessen hatte, konnte er nur eine grün-gelbe Flüssigkeit hervorwürgen. Aber das machte ihm nichts, alles war klar in seinem Leben. Er wollte nüchtern werden. Es ging aber nur langsam, zu langsam für Paul. Also rief er Dieter und Horst an. Das Pulver, das ihm die beiden brachten, pushte ihn auf den Boden zurück, und seit langem konnte er den Furchtlos-Zauber wieder spüren. Er spürte wie die Kraft in ihm hochstieg, die Halluszinationen wurden weniger, sein Gesicht war taub, seine Beine kribbelten - Paul war wieder er selbst.

Nach gut zwei Stunden war der Spuk vorbei. Er nahm den Rest des Pulvers und rief Carola an. Sie freute sich sehr, seine Stimme zu hören. Nachdem die beiden über Gott und die Welt geredet hatten, war Paul zufrieden. "Life is good", sagte er sich selber immer wieder. Paul konnte sich sogar vorstellen, mit Carola seinen weiteren Lebensweg zu gehen. Von Begriffen wie "Lebensabschnittsgefährtin" hielt er ohnehin wenig. Für ihn gab es die Begriffe "echte Liebe" und "Liebe auf den ersten Blick" durchaus, nicht nur das, er lebte danach. Es gab nämlich schon mal die eine oder andere Situation, in der er ein Mädchen hätte haben können, auch sexuell und so. Aber das wollte der Paul gar nicht. Carola war seine Bibel - und ihr Wort war für ihn Gesetz.

Nur eine Woche später war es wieder soweit. Der Furchtlos-Zauber ergriff ihn erneut, Paul half einer alten Dame über die Straße, trug ihr den Einkauf nach Hause und verzichtete sogar auf das Trinkgeld. Dass er der alten Dame eines Tages in einem anderen Licht erscheinen würde, konnte er sich bis dato nicht vorstellen.

Und wie es weiter geht, erfahrt ihr schon bald. Dann nämlich stellt Paul fest, dass die Gewebestücke, die er schneuzen muss, nichts mit Grippe zu tun haben. Ihr erfahrt dann auch, wie Paul auf sein Materie-Antimaterie-Double trifft, das sich selbst "der fliegende Paul mit dem unermesslichen Brummen" nennt. Außerdem kommt eine unangenehme Geschichte ans Licht, in der Paul in der städtischen Klinik beim Spritzen-Klauen erwischt wird und bei der örtlichen Polizeidienststelle erstmals vorsprechen muss.

Trilogie Teil 1, Kapitel 1, Geschichte 5 ... to be continued

Langsam, aber sicher überschlugen sich die Dinge in Pauls Leben. Nach einem extrem exzessiven Wochenende war er eine Woche nicht fähig, in die Schule zu gehen. Er hatte überall Schmerzen und wusste noch nicht einmal, warum. Er dachte sich schon insgeheim, dass er es vielleicht übertrieben hatte. Andererseits war es nicht das erste Mal, dass er 3 Gramm Furchtlos-Zauber konsumiert hatte, nebenbei 5 Flaschen des extrem dunklen Rotweins. Es war nicht das erste Mal, allerdings bemerkte Paul schon, dass seine Regenerationsphasen von Mal zu Mal länger wurden. Aber wen kümmerte das? Er war jung, stark und voller Energie. Er tat Gutes, wann immer er konnte, und er war ein guter Schüler. Also was sollte das bisschen Furchtlos-Zauber ihm da schon anhaben können?

Und dennoch: Die Pulver-Pausen wurden immer kürzer, sein Drang, den Zauber zu spüren, wuchs stündlich. Genau aus diesem Grund rief er die Dieter und Horst an, die ihm diesmal ein besonders gutes Angebot machten. ALs er sich mit ihnen traf, glaubte er, seinen Augen nicht trauen zu können. Die beiden hatten Unmengen Ware dabei, nie zuvor hatte er soviel auf einmal gesehn. Sie boten ihm ein echtes Schnäppchen an. Wenn er deutlich mehr als zuvor kaufen würde, könnte er seinen Eigenbedarf quasi umsonst bekommen. Der Rest ließe sich ganz easy in den nahegelegenen Dissen absetzen. "Das Bauern-Pack steht eh voll drauf", meinte Horst recht sarkastisch.

Paul willigte ein, und er machte sich zum ersten Mal in seinem Leben mit viel zu viel Furchtlos-Zauber auf den Weg nach Hause. Dort angekommen, nahm er eine Nase zum Testen. Alles OK! Kein Gefühl mehr, so wie es eben sein musste. Er verpackte die Menge in Portionen zu je einem Gramm, vergaß dabei aber nicht, sich von jedem Päckchen mindestens eine ordentlich Line einzubehalten. Am Ende lagen an die 50 szenetypische verpackte Plastikknubbel vor ihm. Den Anteil, den er für sich abgegriffen hatte, ersetzte Paul durch Paracetamol-Tabletten, die er zuvor feinsäuberlich mit dem Messer kleingehackt hatte. Die Mogelpackung würde keiner bemerken, so war sich Paul ganz sicher. Die Menge, die dabei für ihn abfiel war keineswegs trivial. Im Gegenteil, es war mehr, als er jemals zuvor für sich gekauft hatte.

Aus Vorfreude begann er mit seinem Ritual. Paul liebte Rituale über alles. Ihm war es stets ein großes Vergnügen, aus allem ein Ritual zu machen. Kochte er beispielsweise am Samstag Mittag seine geliebten Spaghettit mit Tomaten-Hackfleisch-Sauce, so genoss er dazu stets eine Flasche Rotwein. Zwar schmeckte ihm selbst das Essen dann nicht mehr, aber seine Freunde aßen alles sehr gefällig und mit zufriedenem Schmatzen auf. Paul liebte seine Rituale, und für keinen Preis der Welt würde er sie aufgeben.

Mindestens 5 Minuten lang hackte er das Pulver und schob es mit seinem Messer immer wieder in eine schöne gerade Linie. Er rollte seinen 10-Euro-Schein ganz eng auf und inhalierte. Er nahm immer denselben Schein, dasselbe Messer und den gleichen Silberlöffel, mit dem er größere Pulver-Kügelchen säuberlich plattwalzte. Das war eindeutig sein Lieblings-Ritual. Und als er nach wenigen Sekunden die Wirkung des Zaubers verspürte, als er spürte, wie das verflüssigte Pulver seinen Hals hinuterlief, als er den bitteren Geschmack auf seiner Zunge bemerkte, da wusste Paul, dass Rituale für ihn "alles" waren. Und dieses war sein absolter Favorit.

Nach 18 Stunden konnte er nicht mehr, fast sein ganzer Eigenbedarf war weg, Paul legte sich ins Bett und schlief sofort ein. Zu erschöpft war sein junger Körper. Am Abend würde er in die Disse gehen und das Zeug losschlagen. Als er erwachte, war Paul total im Eimer. "Je reiner, desto feiner, und umso gemeiner", dachte sich Paul. Er zog sich an und stieg in den Bus. Die Gefahr, im Bus mit Furchtlos-Zauber erwischt zu werden, erschien ihm in diesem Moment äußerst gering. Als er in der Disse ankam, war es gerade 22 Uhr geworden. Er hatte die Hälfte der Päckchen dabei und ging um 23:30 schon wieder nach draußen. Paul hatte alles losgeschlagen, nichts war übrig, er hatte die Taschen voller Geld, den Kopf voller Flausen und das Gehirn voller Lust auf Furchtlos-Zauber.

Wie geht es weiter mit Paul? Schon bald erfahrt ihr, wie Paul beim Verkaufen erwischt wird, wie er seine Ware mit dem falschen Substitut streckt, wie er Dieter und Horst um Aufschub anbettelt, und wie er Carola das erste Mal anstiftet, ebenfalls den Furchtlos-Zauber zu probieren.

Trilogie Teil 1, Kapitel 1, Geschichte 6 ... to be continued

Die Dinge nahmen ihren Lauf. Das war OK für Paul. Er nahm alles genau so, wie es kam. Seine Musik, sein PC - das war Pauls Leben. Vor allem aber in der Musik fand er seine Erfüllung. Früher hörte er nur das, was im Radio gespielt wurde. Das war zumindest für eine gewisse Zeit völlig in Ordnung. Mit der Zeit jedoch erkannte Paul, dass diese Musik total nichtssagend war. Happy-Endings, Love und Peace, don't hurt anyone - das war doch nie und nimmer das reale Leben.

Erste Erfahrungen mit gänzlich anderer Musik machte Paul, als er mit seinem besten Kumpel in eine Dark-Wave-Gothic-Industrial-Disse ging. Es war im Sommer, als Paul unter heftigsten Depressionen litt. Warum, das wusste er selber nicht. Er telefonierte zu dieser Zeit mit seinem besten Freund, der ihn einlud, mit ihm auszugehen. "Ja klar", sagte Paul. Und so waren sie dann irgendwann gegen 23 Uhr in diesem abgefuckten und vor speckigen Grufties nur so wimmelnden Schuppen.

Paul war schockiert: Alle Anwesenden waren äußerst komisch, mindestens tätowiert, garantiert abgefahren oder einfach nur seltsam. Die Frauen allesamt in schwarzen Klamotten, die Jungs ebenso. Die Musik, die lief, aber beeindruckte Paul. Düstere Elektro-Klänge, stampfende Rhythmen, aggressive Tempi - er fiel aus allen Wolken.

Plötzlich lief ein Song, der Paul auf komische Art und Weise anzusprechen schien. "Das ist Haus Arafna", erklärte ihm sein bester Freund Dirki-Dickson. "Haus Arafna?", dachte Paul, "komischer Name...". Aber wenn Dirki-Dickson diesen Sound als "Haus Arafna" erkannte, dann konnte es keinesfalls schlechte Mucke sein.

Die Musik lag ihm offensichtlich besser als alles andere, was er jemals gehört hatte. Die unglaubliche Monotonie und gleichzeitige Schwere. Der aggressive Beat, der perverse Sänger, das komplette Umfeld dieser Band, die sich "Haus Arafna" nannte, schnappte sich Pauls Seele.

Neben "Oi!" hatte sich in Pauls Leben jetzt plötzlich ein neues Liedgut Platz verschafft. "Industrial", so war er sich sicher, "wird immer einen Platz in meinem Herzen einnehmen."

Nach einem Telefonat mit Dieter und Horst, versorgte sich der völlig verstörte Paul erst einmal mit einer ordentlichen Ladung "Furchtlos-Zauber". Nach dem Konsum des "Zaubers" fühlte er sich deutlich besser. So ging Paul an seinen geliebten PC und startete Kazaa. Er suchte nach "Haus Arafna" und nach gut einer Stunde hatte er gute 20 Songs heruntergeladen. Eine neue Ära in seinem Leben begann. Endlich!

Paul war wie von Sinnen. Voll von "Furchtlos-Zauber" und betäubt von altbekannten Oi-Songs und Industrial-Hymnen, startete Paul seinen finalen Kreuzzug ins Wochenende. "Mir ist alles so scheissegal", sagte er sich mehrfach, nur um am Ende seines abgefahrenen Gedankenganges jenes Lied zu hören, das ihn nachhaltig verändern sollte. Dass das so war, begriff er erst viel, viel später.

"Last dream of Jesus", verdammt, was war das denn auf einmal? Nie zuvor hatte Paul in einem Lied soviel musikalische Komplexität, soviel komprimierte Perversität, soviel Agressivität und soviel unendliche Todesgeilheit erlebt. Dieses Lied war "DIE MORBIDE ERFÜLLUNG" seines Lebens, seine lang ersehnte Seelen-Pein, die totale Zerstörung des menschlichen Ichs - schlicht das BÖSE - so rein, wie selbst die Unschuld selbst. Die totale Befriedigung seiner verlangenden und lethargischen Daseins-Form, die er bis dahin nur sein "Leben" nannte!

Oh ja, "das ist es!", dachte sich Paul. So bin ich - so muss es sein. Das ist das Leben der Lebenden - und der Toten gleichermaßen. War Gott auf einmal tot, oder hatte er sich nur verändert, weil sich Pauls Wahrnehmung zusehends veränderte? Für einen Moment entwickelte Paul philosophische Qualitäten: "Warum Lernen, warum Erfolg, warum eine Gehaltserhöhung?", "Wir sterben doch sowieso alle an Krebs". "Wir werden alle sterben, alle!!!!". Und: "Ihr habt alle gefickt!"

So saß Paul abends allein vor seinem TV. Er hatte eine kaum erwähnenswerte Dosis des "Furchtlos-Zauber" konsumiert und sah sich den Film "Die Zelle" an. Der Film handelte von einem ultraharten "White-Power-Rassisten", der einen Afro-Amerikaner aus Furcht erschossen hatte. "God is white" war die Devise des Mannes... - und zeitgleich auch die des KKK...!

Feuchte Teufel nahmen Besitz von Paul. Er hatte es nun nicht mehr im Griff... Alkohol und Drogen veränderten den bis dahin gutmütigen Paul. Seine Grundsätze waren ansatzweise noch vorhanden, doch, wenn keiner käme, der ihm nun aus Patsche helfen könnte, würde Pauls Leben sicher irgendwann ein Böses Ende nehmen...!

Und schon bald geht es weiter mit Paul. Dann erfahrt ihr, warum Paul "Kinder-Speed" ablehnt, warum er bei Industrial-Sound zum Wolf wird, warum er "Drückeberger" verabscheut - und warum er beschliesst, dass das im deutschen Sprachgebrauch übliche "eu" durch [Oi!] "zu ersetzen" sei.

Außerdem findet Paul die E-Mail-Adresse von Gerhard Schröder heraus, den er nun fortwährend mit bösen Mails bombardiert. Auch seine Traumfrau kommt wieder ins Spiel.

Neues von Paul gibt es auch in Sachen "Mobilität". So kommt heraus, dass eine Kawasaki ZX12-R nicht zu Unrecht das "stärkste offiziell zugelassene Straßenmotorrad der Welt" genannt wird. Und überhaupt: "Deutschland und deine Autobahnen?" - Wo führt das hin?

Ist es Sinn der Sache, dass das neue Maut-System "Toll-Collect" Auffahrunfälle verursacht?

Pauls Satz des Tages: "Gegen Sowjet-Panzer und Volkspolizei!"

Trilogie Teil 1, Kapitel 1, Geschichte 7 ... to be continued

Absurdität! Paul verlor den Bezug zum realen Leben. Er las derzeit eine Menge von Watzlawik, der seine berühmten Axiome als "Status Quo" deklarierte. W's erstes Axiom war: "Du kannst nicht nicht kommunizieren". "So so", dachte Paul, "da wundert es mich auch nicht, wenn ich den meisten Menschen nichts zu sagen haben. "Und überdies" - war Paul der festen Meinung - "drückt meine Körpersprache außer einigen Entzugserscheinungen doch rein gar nichts aus". Sei es, wie es sein will. Paul war an der Schwelle zwischen Genie und Wahnsinn angekommen. Er kannte keine Grenzen mehr. Der "Furchtlos-Zauber" war längst Alltag und die Mengen an Rotwein, die er als Ersatz gierig konsumierte, waren höchstens ein unbefriedigender Ausgleich für all das Unerfüllte, das Paul bis dato erlebte.

Um diesem Dilemma zu entrinnen, begann Paul, seine Philosophie gänzlich neu zu stricken. Er entwickelte eigene Paradigmen, die zwar nur er verstehen konnte, die aber trotz allem ein enormes Sinn-Potenzial inne hatten. Eines dieser Paradigmen nannte Paul sein "Lebens-Motto", das da hieß: "In der Ruhe liegt die Kraft".

Nur selten erfüllte er selbst dieses Motto, dennoch erschien es ihm als probates Mittel, die Dinge verstehen und verkraften zu können. Seine innere Ruhe war überdies keineswegs vergleichbar mit der Ruhe, die ein "Normalsterblicher" fühlte. Seine Ruhe unterlag einer gänzlich anderen Definition.

"Ruhe ist für mich ein Zustand der völligen Selbstaufgabe - unter der Prämisse, mich gerade noch im Griff zu haben", eine gewagte, wenngleich zum Denken auffordernde Logik.

Ja, so war der Paul - immer auf der Höhe der Zeit - vor allem in Sachen PC und Technik. Dennoch verlor er diesmal nicht mehr den Bezug zur Realität. Aus seinen vielen Nächten, in denen er aus dem "Furchtlos-Zauber" Kraft schöpfen konnte, blieb ihm nun nur die Erkenntnis, dass der schlechteste logische Schluss, den er je gezogen hatte, der war, den er je aus einer Speed-Logik heraus entwickelt hatte. Also entschied er sich dafür, künftig weniger zu konsumieren - und viel, viel mehr, zu denken.

Und schon bald geht es weiter. Paul fängt an zu denken und erkennt, dass es niemals zu spät ist, sich zu ändern. Er fängt an, anderen zuzuhören und unterlässt es fortan, nur an sich zu denken. Den Respekt, den er endlich anderen Menschen gegenüber zeigt, bekommt er plötzlich auch zu spüren. Und als fast alles perfekt zu laufen scheint, entdeckt Paul einen Logik-Fehler in seiner Denke, den er nun bekämpfen muss, um nicht komplett vor die Hunde zu gehn.